Das Freizeitschiff LEO (ab 1980)
1980/81 liegt die Ijsselaak in einem heruntergekommenen Zustand in Sneek bei der „Silvervloot“, einer Schiffsverwerter-Gemeinschaft aus Arbeitslosen, Taglöhnern und Alteisenhändlern. Das Schiff hat kein Steuerhaus mehr. Das frei hängende Ruder hat weder Pinne noch Steuerrad. Die heutige Achterkabine existiert als Raum, ist aber leer. Davor befinden sich der ebenfalls leere Motor-, daran anschliessend der Laderaum. Beide sind auf der ganzen Länge mit Ladeluken abgedeckt. Das Eisendeck über dem Motorraum existiert nicht mehr.
Dieter Hoheisel, Kaufmann und Schiffshändler aus Warns, kauft das namenlose leere Schiff, um es für sich auszubauen. Er überführt das Schiff nach Warns und kauft bei einem Händler einen gebrauchten MAN-Diesel-Motor, übernimmt von einem Freund ein altes ZF-Wendegetriebe und lässt die Aak wieder motorisieren. Vor dem Motorraum entsteht ein neuer Raum mit WC und Badewanne. Im Laderaum werden Fenster eingebaut. Die Achterkabine wird wieder als Wohnraum ausgebaut und erhält heckseitig eine quer eingebaute Schlupfkoje. Ein Herd, der mit Holz oder Briketts geheizt werden kann, wird über dem Getriebe gegen die Motorraumwand platziert. An Deck steht vorerst ein Baustellenkamin als Provisorium. Die hölzerne Abdeckung über dem Motorraum, dem neuen Bad und dem wiederum davor liegenden Laderaum bleibt erhalten. Zur Verstärkung des Rumpfes werden über den gesamten Unterwasserteil Stahlplatten von fünf Millimeter Dicke geschweisst.
An Deck liegen zwei Seitenschwerter. Weil Dieter Hoheisel davon ausgeht, dass die Seitenschwerter von diesem Schiff stammen, lässt er sie montieren. Ebenfalls lässt er eine Ankerwinde an Deck installieren. Auf dem Achterdeck entsteht eine Steuersäule für die neue Radsteuerung und die Motorenbedienung. Der Form wegen überlegt Hoheisel sich, sein Schiff auf den Namen „Krentebol“ zu taufen, der Bezeichnung für ein holländisches Rosinenbrötchen. Bevor es jedoch zur offiziellen Schiffstaufe kommt, gibt Dieter Hoheisel 1984 sein bei weitem noch nicht fertig ausgebautes Schiff zum Verkauf frei.
Die Ijsselaak, wie sie von Dieter Hoheisel verkauft wird.
Die Ijsselaak wird vom Schweizer Leo Ullmann aus Zürich entdeckt. Er ist Antiquitätenhändler und Liebhaber/Händler von alten Schiffen aller Art. Er sieht das Schiff im Hafen von Woudsend im holländischen Friesland. Durch seine Vermittlung kommt es zum Verkauf der Aak von Dieter Hoheisel an R. E. aus Zürich. R. E. und seine Frau erhalten einen schönen Schiffsrumpf, vollbepackt mit einer langen, unbekannten Vergangenheit, kurz: eine Baustelle mit viel Arbeit für die Zukunft!
Die Aak ist dank der Motorisierung wieder fahrfähig, befindet sich aber in einem schlechten Zustand. Der Laderaum ist leer und die Dachkonstruktion so tief montiert, dass man sich den Kopf anstösst. Die Holzluken über Motorraum, Bad und Laderaum sind zum Teil morsch. Strom gibt es nur für den Motor, die Motorinstrumente sind nicht angeschlossen. Freude macht die Achterkabine. In der Schlupfkoje unterm Steuerdeck kann man schlafen und der Herd dient als Kochstelle und Ofen.
Auf dem blauen Deck der Achterkabine steht bereits der neue Kamin. Der gesamte Laderaum ist noch mit alten Luken abgedeckt. Auf dem festen Vordeck steht die Stütze des hölzernen Flaggenmastes.
Um Stehhöhe zu erreichen baut R. E. im Winter 1984/85, immer noch in Woudsend, senkrechte Stützen in dem Laderaum ein. Eine Petrollampe vervollständigt die erste Umnutzung vom Laderaum zum provisorischen Wohnraum. Der Herd in der Achterkabine erhält anstelle des hässlichen Baustellenkamins einen neuen Kamin mit Mastauflage, obwohl schon längst kein Mast mehr vorhanden ist. Über einen kleinen, heute noch im Motorraum hängenden Verteilerkasten entnimmt R. E. Strom aus den Motorbatterien, um Positionslampen für die Fahrt zu betreiben.
Im Frühjahr soll die Aak nach Mulhouse/F gefahren werden. Dazu braucht das Schiff aber noch einen Namen und Schiffspapiere. R.E. und seine Frau taufen ihre Ijsselaak auf den Namen „LEO“, als Dankeschön für die Vermittlung durch Leo Ullmann. Am 15. April 1985 unterzeichnet Dieter Hoheisel eine Benutzervollmacht an R. E. Darin ist der Name „LEO“ erstmals schriftlich erwähnt.
Um ein offizielles Dokument für den Schiffsverkauf und die Ausfuhr ins Ausland zu haben, veranlasst Dieter Hoheisel eine neue Vermessung und Registrierung in Holland. Dieser bis heute letzte Meetbrief vom 17. April 1985 stammt wieder aus Groningen. Der Metingsmerk GN1245 ist an Steuerbord auf dem achterlichen Schanzkleid eingetragen, diesmal aber erstmals aufgeschweisst.
Der Name „LEO“ steht nun erstmals in einem Meetbrief. Ebenso ist der 1981 eingebaute MAN-Motor im Meetbrief neu eingetragen. Gemäss der Vermessung von 1985 ist die Ijsselaak 16.60 Meter lang und 3.90 Meter breit. Der Rumpf taucht im vorderen Teil nur 0.45 Meter ein und der grösste Tiefgang wird mit 0.85 Meter angegeben. Das Schiffsgewicht ist mit 23‘090 kg eingetragen. Das höchste Zuladegewicht wird mit exakt 12‘244 kg angegeben, so dass „LEO“ maximal 35‘334 kg schwer sein darf. Der frühere Frachtsegler, der seit 1951 die Bezeichnung Motorfrachter trägt, ist jetzt auch auf dem Papier ein Freizeitboot.
- E., unterstütz von seiner Frau, dem Vorbesitzer Dieter Hoheisel, dem Vermittler Leo Ullmann und einem Kollegen von R. E. wird „LEO“ nach Mulhouse überführt. Kurz vor dem Reiseziel, nach Strassburg bergwärts auf dem Rhein, ist der 160 PS starke MAN-Motor erstmals richtig gefordert und überhitzt sofort! Nur noch unter langsamer Fahrt geht es weiter zum neuen Standplatz bei der Werft „Spinnhirny“ in Mulhouse.
In den nächsten zwei Jahren wird „LEO“ nur noch in langsamer Fahrt gefahren, um den Motor nicht zu überhitzen. R. E. lässt die Seitenschwerter demontieren, da deren Mechanik defekt ist und das Schiff nicht mit abgesenkten Seitenschwerter gefahren werden konnte. Zudem wird das Anlegen an Land ohne Schwerter einfacher. In dieser Zeit erhält die Aak ihr höhenverstellbares Dach, damals noch eine reine Rohrkonstruktion mit Stoffbespannung. Die heutigen Petrol-Positionslampen ersetzen das elektrifizierte Provisorium.
Am 7. Juli 1987 verkauft R. E. seinen „LEO“ an Walter Stamm aus Kaiserstuhl. Es kommt aber zu keinem Katastereintrag in Holland. Noch im gleichen Sommer überführt Walter Stamm „LEO“ nach Holland. Im Oktober wird in Volendam der Motor ausgebaut und teilrevidiert. Dabei zeigt sich, dass die Einspritzleitungen von zwei Zylindern vertauscht angeschlossen waren, weshalb der Motor unter Last immer überhitzte. Nachdem der Motor wieder im Schiff steht, fährt Walter Stamm nach Alphen am Rhein. Dort werden auf der Werft von J. de Jong 8-10 Tonnen Beton in Laderaum-,
Bad- und Motorraumbilge gegossen. Dadurch erhält das Schiff eine tiefere Schwimmlage und ist auch ohne Seitenschwerter besser zu manövrieren.
Die senkrechten Stützen von R. E. und das gesamte Bad von Dieter Hoheisel müssen weichen. Die Ladeluken werden entfernt und die Aufbau-Seitenwände mit den alten Fenstern werden dann herausgetrennt.
Walter Stamm entfernt die Wände des von Dieter Hoheisel damals eingebauten Bades, und damit auch die Badewanne, das Lavabo und das WC. In der Achterkabine wird der Herd entfernt und an dessen Stelle ein kleiner Tisch über dem Getriebe montiert. Anstatt den Kamin ebenfalls auszubauen, wird die Kaminöffnung nur provisorisch verschlossen. Ein Provisorium, das noch heute unschön auf sich aufmerksam macht. Vor der Achterkabine wird alles oberhalb des Gangbord weggetrennt.
Es entstehen einheitliche Seitenwände mit neuen Bullaugen, sowie vier grosse Fenster im neuen Wohnraum. Der Motorraum erhält eine Isolation und eine davor liegende Schotwand gegen die Achterkabine.
Die Schotwände stehen, die neuen Wasser- und Dieseltanks stehen bereit.
Vor dem Motorraum werden neue Schoten gestellt. „LEO“ wird mit einem neuen Bad, einem Wohnraum mit Küchenkombination und zwei Bugkojen ausgerüstet. Das Bretterdach über Motorraum, Bad und ehemaligem Laderaum wird durch ein festes Eisendeck ersetzt.
Der Ofen ist installiert und die grossen Fenster lassen viel Licht in den zukünftigen Wohnraum.
In etwa am Standort des ehemaligen Mastes, wird ein Kamin für den darunter neu installierten Ofen gestellt. Der neue Kamin erhält eine Saling und ersetzt damit auch den alten hölzernen Flaggenmast.
Mit diesem grossen Umbau durch Walter Stamm erhält „LEO“ Ausmass und Aussehen, wie sie im Wesentlichen noch dem heutigen Schiffszustand entsprechen. Durch den eingegossenen Beton und den grossen Schiffsumbau hat die Aak massiv an Gewicht zugelegt und verdrängt heute gegen 35 Tonnen. Ebenso hat der Tiefgang zugenommen. Auf den vorderen ca. 11 Metern Schiffslänge beträgt die Tauchtiefe jetzt ca. 0,80 Meter, im hinteren Schiffsteil nimmt der Tiefgang bis zur Unterkante des Ruders auf 1,10 Meter zu.
Am 1. Dezember 1988 wird im Grundbuch- und Schiffsregisteramt Basel ein „Antrag zur Aufnahme eines Schiffes in das Schiffsregister des Kantons Basel-Stadt“ ausgefüllt. Antragssteller ist Walter Stamm. Die Idee „LEO“ unter Schweizer Flagge zu fahren, wird nie verwirklicht. Es kommt zu keinem Eintrag in einem schweizerischen Schiffsregister. Der Aufwand, die Aak ans schweizerische Schifffahrtsgesetz anzupassen, wäre zu gross gewesen. „LEO“ bleibt bis heute unter holländischer Flagge.
Beim Katasteramt in Holland erfolgt erst am 8. Februar 1989 wieder ein offizieller Eignereintrag für das Schiff mit der Kennung „116 B Sneek 1939“. Eigner ist jetzt Walter Stamm aus Kaiserstuhl. Das Schiff ist als Freizeitschiff eingetragen, der Schiffsnahme lautet auf „LEO“ und der Heimathafen ist Harlingen.
Nach dem grossen Umbau fährt Walter Stamm sein Schiff zuerst in Holland. 1988 und 1989 ist „LEO“ in Frankreich unterwegs, 1990 erfolgt die Rückreise nach Holland. 1991 kauft Walter Stamm ein grösseres Schiff und entschliesst sich, „LEO“ zu verkaufen.
„LEO“, wie er 1991 von der Eignergemeinschaft gekauft wird.
In Harlingen unterzeichnen Marina und Rolf Gerber am 21. Mai 1991 den Kaufvertrag. Sie bilden zusammen mit den Freunden Ebstein, Fricker, Gerber, Lötscher, Schuppisser und Stoll/Schmid die neu gegründete Eignergemeinschaft von „LEO“. Am 23. Mai 1991 werden die sechs neuen Eigentümer-Paare im Schiffskataster in Groningen eingetragen. Harlingen bleibt der Heimathafen; „LEO“ fährt weiter unter holländischer Flagge. Im Sommer 1991 wird das Schiff von Makkum (NL) nach St. Jean de Losne (F) überführt, wo es seinen neuen Standplatz erhält. Ohne wesentliche Änderungen am Schiff wird „LEO“ von der Eignergemeinschaft bis Ende 2000 gefahren. Nach dem Tod von Miteigner Schuppisser und dem Ausscheiden von Miteigner Fricker, sucht die verbleibende Vierergemeinschaft im 2001 neue Miteigner. Nach Gesprächen und Probefahrten im Frühjahr stossen Dirnberger, Künzli und Lohbeck/Abenojar dazu. Im Sommer 2001 treffen sich alle alten und neuen LEO-Eigner im Péniche-Restaurant in Kembs zum gegenseitigen Kennenlernen. Im holländischen Kataster wird die neue Eignergemeinschaft allerdings noch nicht eingetragen.
Um den Wohnkomfort zu steigern, erhält die Aak weitere Batterien und bessere Batterielademöglichkeiten, sowie eine Warmluftheizung für die Achterkabine. Nach grösseren Service- und Reparaturarbeiten am Motor läuft auch dieser wieder besser.
Im Sommer 2004 nimmt „LEO“ als ältestes Schiff an der Flottenparade zur 100-Jahr-Feier des Basler Rheinhafens teil. Im Sommer 2005 fährt „LEO“ südwärts ans Mittelmeer und weiter bis kurz vor Toulouse und überwintert in Colombiers.
„LEO“ im Canal du Midi.
Nach der Rückkehr im Sommer 2006 findet am 29./30.Juli das 100-Jahre-LEO-Fest auf der Seille bei la Truchère statt (siehe Reiseberichte).
Diverse Steuerseilbrüche in den letzten Jahren zeigen, dass die alte Seilsteuerung gelegentlich ersetzt werden sollte. Ein Auffahrtschaden, verursacht durch einen im Ruder verklemmten Ast mit nachfolgendem Steuerseilbruch, ist 2006 dann der Auslöser für die Planung einer grösseren Investition in die Zukunft von LEO. Im Winter 2007/08 werden auf dem Trockendock von CBV in St. Jean de Losne umfangreiche Arbeiten erledigt. Der Rumpf wird am tiefsten Punkt angebohrt, damit das Wasser, das sich über Jahre in der Schiffsbilge gesammelt hat und vom Beton wie von einem Schwamm aufgesaugt wurde, entweichen kann. Es ist erstaunlich / erschreckend zu sehen, dass währen 20 Minuten ein satter Wasserstrahl aus dem Rumpf fliesst bis es nach und nach zum Rinnsal wird. Nach einer Woche tropft immer noch Wasser aus dem Rumpf. Nach dreiwöchigem Dockaufenthalt wird das Loch wieder verschweisst (Anhand der neuen Schwimmlage lässt sich später die abgeührte Wassermenge auf ca 2800 Liter berechnen). Im Schiffsinnern schneiden und spitzen wir ein 30cm x 30 cm grosses Loch aus dem Beton um in Zukunft bis auf die Rumpfplatten sehen zu können. An der Aussenhaut wird die Stahldicke gemessen. Es werden, durch Korrossion und Elektrolyse, angegriffene Rumpfplatten repariert und zusätzliche Opferanoden montiert. Die Seilsteuerung wird durch die kleinste Hydrauliksteuerung aus der Profischifffahrt ersetzt. Der Propeller wird repariert und frisch ausgewuchtet. Unterwasserschiff und Freibord werden gestrichen. An Deck wird das beschädigte Gestänge des Steuerstanddaches repariert und das Sperrholzdach erhält neu einen Schiebedachteil.
Per Ende 2011 verlassen Lohbeck/Abenojar die LEO-Gemeinschaft. Die verbleibenden Eigner beschliessen vorerst als Sechser-Team weiter zu fahren.
Im Sommer 2014 erhält „LEO“ während dem langen Werftaufenthalt bei Nautilia in Ilzach mehr als nur etwas neue Farbe. „LEO’s“ Rumpf wird nach über dreissig Jahren durch Sandstrahlen wieder einmal alle alten Farbschichten los. Am Steuerbordbug werden Teile von Deck und Schanzkleid erneuert und beidseitig am Bug/Rumpf wird eine Verstärkung aufgeschweisst. Anschliessend erhält der gesamte Rumpf einen neuen Farbaufbau. Unter dem Namenzug und „LEO’s“ Jahrgang leuchtet die Bugscheuerleiste jetzt in roter Farbe.
„LEO“ wird aus dem Dock geschoben.
Auch die Aufbauten und das Steuerdach werden frisch gestrichen. Holzteile an Deck werden restauriert und geölt. Während den umfangreichen Servicearbeiten am Motor werden auch die Einspritzdüsen revidiert. Im Schiff gibt es fast in allen Räumen neue Farbe und die alte Holz-Küchenabdeckung muss einer Granitabdeckung weichen.
Die Küche ist bald wieder einsatzbereit.
Ab Juli bewegt sich „LEO“ in neuem Glanz wieder über Frankreichs Wasserstrassen.
Frisch gestrichen in Deluz am Doubs.
An der ausserordentlichen Generalversammlung vom Oktober 2014 nehmen wir Reitemeier’s und Wenger’s als neue Miteigner in die Gemeinschaft auf.
In der Saison 2015 ist „LEO“ dank acht Eignern rekordverdächtige 29 Wochen unterwegs. Der Motorraum bekommt einen neuen, hellen Farbanstrich und die Batterieladetechnik wird nach 13 Jahren der neusten Technik angepasst.
Ende 2015 verlassen Marina und Rolf Gerber aus Altersgründen die „LEO-Familie“. Gerber’s haben 1991 „LEO“ in Holland entdeckt und die heutige Eignergemeinschaft gegründet. An der Generalversammlung werden sie offiziell verabschiedet und ihr grosses Engagement für die Gemeinschaft wird verdankt! Als „Heimweh-Leonisten“ werden sie eingeladen 2016 als Gäste die für sie neue, andere Seite der „LEO-Schifffahrt“ kennen zu lernen.