La Somme. Eine Reise gegen den Wind zum Ärmelkanal.

Die Somme entspringt in Fonsommes im Departement Aisne nur 80 Meter über Meer. Ihr Weg nach Westen bis zum Hafenstädtchen Saint-Valery am Ärmelkanal beträgt aber 245 Kilometer. Von der Quelle bis zur nahen Stadt St-Quentin hat die Somme noch nichts mit der Schifffahrt zu tun.

 

Ab St-Quentin ist die Somme Wasserspender für die über 20 Kilometer des nach Südwesten verlaufenden Teils des Canal de St-Quentin. In St-Simon verlässt die Somme den St-Quentinkanal nach Westen. Hier beginnt der Canal de la Somme. Dieser 16 Kilometer lange Kanal ist die Verbindung zum Canal du Nord. Er ist die wichtigste Verbindung von Paris nach Belgien. Obwohl der Canal de la Somme gut unterhalten ist, ist er seit einiger Zeit geschlossen – das Geld für den Betrieb fehlt! Am Ende des Canal de La Somme, bei der Ortschaft Voyennes, biegt die Somme nach Norden ab und begleitet das Mittelstück des Canal du Nord. Wieder ist die Somme Wasserspender und Überlaufbecken für einen Kanal. Bei Péronne wendet sich die Somme dann nach Westen ab und verlässt nach 21 Kilometern den Canal du Nord. Jetzt wird die Somme abwechslungsweise im Flussbett und in Kanalstücken befahren. Die Flussschifffahrt endet nach weiteren 120 Kilometern und nur 42 Höhenmetern an der Seeschleuse bei Saint Valery. Die Somme behält ihren Namen aber nur bis nach Abbeville bei Schleuse 24. Auf den letzten 15 Kilometern bis zur Seeschleuse nennt sich der schnurgerade Kanal „Canal Maritime d‘ Abbeville à St. Valery“. Im Kanal ist mit Tidenhub bis zu einem Meter zu rechnen. Die Ausfahrt ins Meer ist nur bei Hochwasser möglich. (Navigation auf der Somme und Wasserstand auf der Somme)

 

Rachel und ich übernehmen LEO in Cappy, einem kleinen Ort 15 Kilometer westlich von Péronne. Der Hafen von Cappy ist gut ausgerüstet und wer die Somme einmal selber befahren möchte, kann hier bei Locaboat eine Penichette mieten. 

Noch am Abend unserer Ankunft erhalten wir auf einer kleinen Velotour via Bray und Froissy zurück nach Cappy einen ersten Eindruck dieser speziellen Flusslandschaft. Durch ihr geringes Gefälle ist die Somme ein träger Fluss und mäandert in grossen Schlaufen dem Meer entgegen. Im Sommetal wurde lange Zeit Torf abgebaut. 

Dadurch sind beidseits des Flusses Senken entstanden. 

Die meisten Senken sind heute mit Wasser gefüllt und Heimat vieler Wassertiere. Die Seen sind mit dem Flussbett verbunden. 

Viele mit identischem Wasserspiegel und nur durch schmale Dämme vom Fluss getrennt. 

Mancherorts fliesst Flusswasser über ein kleines Wehr in leicht tiefer liegende Seen. Hunderte von kleinen Kanälen verbinden die ganze Wasserlandschaft. Es ist nicht immer leicht zwischen Fluss, kanalisiertem Fluss und Kanal zu unterscheiden. Die Fahrrinne schlängelt sich zwischen den Seen kurvenreich durch die Landschaft.

Marais, Moorlandschaften, gibt es zwischen Péronne und St. Valery in jeder Ortschaft. 

Alle Kanalfahrer kennen das mit den Anglern auf dem Treidelpfad. An der Somme habe ich eine neue Variante davon gesehen. Der Vater sitzt auf seinem Stuhl auf dem Treidelpfad und versucht einen Fisch aus dem Fluss zu ziehen. Neben ihm sitzt der Sohn auf seinem Stuhl und versucht ebenfalls sein Glück. Allerdings fischt er buchstäblich in anderen Gewässern – der Damm des Treidelpfades ist schmal, der Sohn sitzt in entgegengesetzter Richtung neben dem Vater und fischt im See neben der Somme. Ist es vielleicht doch nicht das Selbe, wenn zwei das gleiche tun? Oder schmecken Fische anders, wenn ihr Wasser nicht von Schiffsschrauben durchwirbelt wurde? Ich gebe zu, mir liegen Schiffsschrauben bedeutend näher als Fische – ich kann das wirklich weder wissen noch beurteilen.

Gleich zu Beginn unserer Reise, nach der Hebebrücke von Cappy, begleitet uns am Flussufer eine alte Schmalspurbahn. Einige Kilometer weiter, in Froissy befinden sich bereits die Endstation. In grossen Hallen stehen Dampflokomotiven und Güterwagen und das Museum erzählt von der bewegten Geschichte der Bahn.

Mitten im ersten Weltkrieg wurde die kleine Schmalspurbahn von den Briten gebaut, um Nachschub an die Front zu transportieren und Verletzte zurück zu holen. Die Bahnstrecke von Froissy bis Dompierre überwindet bei Cappy in zwei Spitzkehren und einem Tunnel den Höhenunterschied vom Fluss hinauf auf die Ebene. Bis 1972 wurde die Bahn dann für den Zuckerrübentransport benutzt. Heute ist es nur noch eine Touristenbahn.     

In Corbie übernachten wir. Bis 1789 war die Somme nur vom Meer bis Corbie schiffbar. Als Umschlagplatz von Waren entwickelte sich Corbie zu einem bedeutenden Ort. Stattliche Bauwerke, ein Kloster und die grosse Kathedrale zeugen von jener Zeit.

Das Rathaus von Corbie. 

Die beiden 55 Meter hohen Türme und die Front der Kathedrale sind heute noch mächtig, die Kathedrale selber wurde aber während der französischen Revolution um zwei Drittel verkürzt. Doch auch der verbliebene Drittel kann sich noch sehen lassen!

Auf der Weiterfahrt nach Amiens machen wir einen Zwischenhalt und spazieren durch die Grand Marais de la Queue. Hier kann man die ausgehobenen Torfbecken noch heute besichtigen. 

Kurz nach der Schleuse 16 begegnen wir das etwas andere Wasserfahrzeug. Einige Pfadis aus der Region haben ein Fassfloss gebaut und sind damit paddelnd auf der Somme unterwegs. Weil sie nicht motorisiert sind, gelten sie als nicht genügend manövrierbar und dürfen die Schleusen nicht befahren. Sie entladen ihr Floss am Wehr oberhalb der Schleuse und tragen es bis unterhalb des Wehrs. Dann befahren sie den strömungsintensiven Flusslauf und treffen erst weiter unten wieder in die kanalisierte Somme. Die „gezähmte Somme“ und die Kanalabschnitte fliessen ihnen zu langsam und sie müssen viel paddeln. Deshalb bitten sie uns, sie ein Stück zu ziehen.

Mit drei bis vier Stundenkilometer tuckert unser Schleppverband langsam westwärts. Natürlich wird viel geplaudert – woher, wohin, Pfadinamen werden ausgetauscht und, wenn wir nach Amiens wollten so könnten wir sie gleich bis dahin mitziehen, denn sie hätten das selbe Tagesziel. Ohnehin fühlen sie sich uns sehr verbunden. „Wir sind  auch eine Gemeinschaft von Schiffseignern“, stellen sie fest. Ich mache mir in den Rechtskurven manchmal etwas Sorgen um den eintauchenden Steuerbordbug des Flosses, werde aber umgehend aufgeklärt: „Das Fass vorne rechts hat eventuell ein kleines Leck, deshalb schwimmt es etwas tiefer, aber das ist kein echtes Problem“. Selbstverständlich beruhigt mich das enorm. Da die Jungs aber vom hintern Flossteil ins Wasser springen und auch dort wieder aufs Floss klettern wird der Bug immer wieder entlastet. 

Bei der ersten Brücke von Amiens bedanken sie sich für unseren Schleppdienst. Wir werfen das Schlepptau ins Wasser und sie paddeln an Land. Sie haben eine alte Autofelge als Feuerstelle dabei und in den beiden wasserdichten, stehenden Fässern transportieren sie ihre Kleider und Schuhe, Planen um ein Zelt zu bauen und Geld um Proviant zu kaufen.

Wir legen im „oberen Hafen“ am Quai von Amiens, schräg gegenüber vom Ruderclub, an. Auf unserem abendlichen Streifzug durch Amiens Strassen kommen wir um 22.30 Uhr noch in den Genuss der Lichtspiele an der Kathedralenfassade. 

Hinter dieser Fassade erstreckt sich der grösste Sakralbau in ganz Frankreich. Das Volumen der Kathedrale von Amiens ist so gross, dass die Notre Dame von Paris zwei Mal darin Platz finden würde. Der Dachritter, der Turm auf dem Kreuz von Längs- und Querschiff, soll sogar der höchste der Welt sein! Als Touristenattraktion wird im Sommer die Fassade mit farbigem Licht so präzise angeleuchtet, dass die Sandsteinstatuen wie bemalt aussehen. 

Auch Ornamente, Muster und Verzierungen werden in Farbe angestrahlt. Anfangs stehen alle Leute fasziniert da und es sind viele „Ah“ und „Oh“ zu hören. Nach einiger Zeit bewegt sich die ganze Touristenschar zur Fassade und bestaunt die Präzision der Lichtbündel und die Farbstärke, die da den Stein farbig erstrahlen lässt. Ich muss zugeben, auch ich habe die Hand ins Licht gehalten um zu sehen, wie im Schatten dahinter wieder grauer Sandstein zu sehen ist.

Genial gemacht und für meinen Geschmack fürchterlich kitschig das Ganze.

Es lohnt sich in Amiens eine Fahrpause einzulegen. Per Velo erkunden wir am nächsten Tag die Stadt und ihre Umgebung.

Amiens hat nur wenig Altstadt mit alten Häusern, die die Bombardierungen im 2. Weltkrieg überstanden haben. 

Vieles wurde später im alten Stil mit kleinen Backsteinen wieder aufgebaut.

Manchmal ist der vorhandene Platz so knapp, dass die Häuser sehr schmal sind …

…und die Treppen ausser Haus verbannt wurden.

  

Die Somme und mehrere Seitenkanäle durchfliessen das St. Lieu Quartier. Am Sommeufer haben sich Restaurants angesiedelt.

Da und dort hat es aber noch alte Holzhäuser und manchmal auch eine interessante Strassenbezeichnung.

Im neueren, höhergelegenen Stadtteil sind die Strasse breiter, die Häuser grösser und entlang der Fussgängerzone warten viele Geschäfte auf Kunschaft.

Und immer wieder überragt die riesige Kathedrale alle anderen Gebäude. 

Der Ausflug in die Hortillonnages, die „schwimmenden Gärten“ Amiens gefällt uns sehr. Bereits um 1500 werden erstmals Teile des Sumpflandes an der Somme entwässert. Kleinbauern beginnen hunderte von kleinen Entwässerungskanälen anzulegen und auf den Inseln dazwischen Gemüse anzubauen. Die Produkte wurden per Boot in die Stadt gefahren und auf dem schwimmenden Markt verkauft. Die Hortillonnages bedecken eine Fläche von 300 Hektaren und sind von 65 Kilometern Entwässerungskanälen durchzogen. Man kann sich mit speziellen, von Elektromotoren betriebenen Booten durch einen Teil der Kanäle fahren lassen oder wie wir per Velo den Wegen um und durch die Garten- und Wasserlandschaft folgen. 

Heute hat es auf den unzähligen Inseln Brachland, Ziergärten, Wochenendhäuschen, Schrebergärten und Gemüsegärten. 

Um die schwimmenden Gärten naturnahe zu erhalten ist vieles geregelt und vorgeschrieben und manches verboten. 

Die regelmässige Ausbaggerung der vielen kleinen Kanäle übernimmt heute die Stadt.

Am Mittwochmorgen fahren wir um Punkt neun Uhr in die Schleuse von Amiens ein. Unmittelbar daneben ist die Verwaltung des Flusses Somme. Die meisten Flüsse und Kanäle Frankreichs unterstehen dem VNF. Die Somme nicht. Die Schifffahrt aber auch der Hochwasserschutz und die Wasserstandsregulierung der riesigen Wasserflächen und Marais im Sommetal werden von Amiens aus organisiert. Als Bootfahrer erhält man eine Telefonnummer und erreicht damit immer die Verwaltung Die wissen dadurch immer welches Schiff sich wo befindet und sorgen dafür, dass man in angemessener Frist nach dem Anruf weiterfahren kann. Wer sich am Vorabend meldet, kann sich minutengenau auf die Schleusung einrichten. Wir werden sehr zuvorkommend behandelt. Es werden die Taue entgegengenommen und man trifft immer wieder einmal den selben Schleusenwärter. Wir fühlten uns sehr wohl und es ergab sich manches Gespräch. Dabei erfahren wir auch, dass wegen extrem starkem und lang anhaltendem Regen 2001 das ganze Sommetal von einem Hochwasser betroffen war. Viele Kanal- und Flusskilometer mussten ausgebaggert und Anlegestellen, Wehre und Wasserregulierungswerke repariert oder erneuert werden. Neue Bänke und Picknicktische entlang des ganzen Flusses zeugen ebenfalls vom grossen Aufwand der betrieben wurde. Seither wird der Wasserspiegel der Somme und ihrer unzähligen Wasserbecken etwas tiefer gehalten, um Reservevolumen für ein zukünftiges Hochwasser sicherzustellen. Sicherlich intelligent für die Region, verbunden mit dem, meiner Meinung tragbaren Nachteil für die Schifffahrt, dass der Tiefgang in der Somme heute nicht mehr mit 1,8 Metern sondern nur noch mit 1,2 bis 1,5 Meter angegeben wird. Weil 2011 wenig Regen gefallen ist, wurden wir mehrmals auf unseren Tiefgang angesprochen und jeder Eclusier befand 1,10 Meter als problemlos, um die Somme zu befahren. 

Noch am Vormittag überholen wir beim Samara-Park wieder das Pfadifloss. Offenbar haben sie keinen Ruhetag eingelegt und haben inzwischen wieder vor uns gepaddelt. Später am Vormittag zwingt uns der undichte Dieselfilter zu einem Halt oberhalb der Schleuse Picquigny. Der vor zwei Wochen gerissene und dann geschweisste Filter verliert wieder Dieselöl. Ich demontiere und kontrolliere ihn. Er scheint an den Anschlüssen und vor allem an der Ablassschraube undicht zu sein. Vor dem Zusammenbau messe ich alle Anschlussgewinde um für den Herbst einen neuen Filter zu organisieren. Nur mit Mühe bekomme ich den Filter dann wieder so dicht, dass er nur noch leicht schwitzt/tropft – hoffentlich hält das nun bis im Herbst! In der Zwischenzeit beobachtet Rachel wie die Pfadis hinter uns am Überlaufwehr wieder einmal ihr Floss entladen und auswassern um unterhalb des Wehrs wieder ein Stück Flusskraft zu geniessen. Später erfahren wir, dass diese Flussabschnitte die wirklichen Abenteuer ihrer Reise waren. Als wir wieder fahrbereit sind, begegnen wir unseren früheren Hafennachbarin von St. Jean de Losne, die „Baron de l’ecluse“.

Die „Barone“ haben ein paar Tage vor uns die Somme befahren und sind wieder auf dem Rückweg. Es ist kurz vor Mittag, aber der Schleusier ist so freundlich und schleust uns noch durch die Doppelschleuse. An der unteren Somme gibt es einige Doppelschleusen und dies obwohl der Totalhub jeweils nur 1,2 bis 2.7 Meter beträgt. Beim jetzigen geringen Wasserstand im Sommetal wird nur in einer Schleusenkammer geschleust und die andere Kammer steht offen. 

Mit ein paar Larsen und Holzbalken kann man auch eine Schrägwandschleuse mit Naturböschung zur „normalen“ Schleuse umbauen, allerdings kann man das Schiff nicht mehr verlassen und die Belegpoller an Land sind in unerreichbare Ferne gerückt.

Am frühen Nachmittag ist unser Tagesziel schon von weitem zu erkennen. Wir wollen in Long übernachten. Long, heute ausgerüstet mit einer sehr informativen Internetseite, ist einer jener Orte an der Somme, die durch den Verkauf von Torf Reichtum erworben haben. Die Dorfkirche ist gross…

…und das Rathaus überdimensioniert. 

Über allem dominierend das Schloss von Long, gebaut an schönster Lage. Beinahe zwei Kilometer lang ist der Schlosspark mit eigenem See, dem wir entlang fahren,…

…bevor wir unterhalb des Schlosses die Gewächshäuser passieren und dann in den Hafen vor der Schleuse einbiegen. Eigentlich hätte an der Schlossanlage der Flussabschnitt mit dem Überlaufwehr vorbeifliessen sollen. Der damalige Schlossherr und Bürgermeister vermochte aber den Kanalbau so stark zu beeinflussen, dass Kanalbett und Flussverlauf getauscht wurden und er vom Schloss und vom Rathaus aus den Ausblick auf Kanal, Hafen und Schleuse erhielt. Um die Nachkommen des Herren nicht zu belästigen, verzichten wir auf die Schlossbesichtigung und machen uns per Velo auf, um unser Auto nachzuziehen. Hier, westlich von Amiens, sind die einzelnen Seen entlang der Somme grösser und dazwischen liegt entwässertes Agrarland. Die einzelnen Seen werden jetzt als Étang bezeichnet und die Marais werden immer kleiner. Beim anschliessenden Rundgang durchs Dorf treffen wir noch auf einen letzten Zeugen der geldreichen Vergangenheit von Long. Am Überlaufwehr der Somme hat die Gemeinde Long 1903 ein für die damalige Zeit hochmodernes Kraftwerk in Betrieb genommen. Es wurde bis 1968 zur Stromproduktion genutzt. Bis 1974 diente das Werk dann noch als Trinkwasserpumpstation, bevor es zum Museum erklärt wurde. 

Unmittelbar daneben erinnert der dreiblättrige Propeller eines abgestürzten Militärflugzeuges an einen der unzähligen Armeeeinsätze während der beiden Weltkriege. Das Sommetal, aber natürlich auch viele andere Teile der Picardie und der Haute-Normandie haben stark unter den Kriegen gelitten. 1916 wurden während der viermonatigen Schlacht an der Somme gegen eine Million Soldaten verletzt oder getötet. Wenn man mit dem Fahrrad oder dem Auto unterwegs ist, fährt man immer wieder an Soldatenfriedhöfen verschiedenster Nationen vorbei. Soldaten aus 25 Ländern waren im Sommetal im Kriegseinsatz. Im zweiten Weltkrieg waren es vor allem die Bombardierungen der Städte, von denen heute noch berichtet wird. In Amiens und Abbeville sind Fotos ausgestellt, welche die, für uns unvorstellbare, Zerstörung in den Städten belegen. 

Anderntags, wieder um neun Uhr, werden wir als erste in Long flussabwärts geschleust. Wir fahren Richtung Abbeville. Im Mittelalter war Abbeville noch eine Hafenstadt am Ärmelkanal. Längst hat die allmähliche Versandung der Sommebucht der Stadt den Meeranstoss genommen. Heute führt ein 15 Kilometer langer Kanal zur Seeschleuse in St. Valery. 

Die Seeschleuse ist ein riesiges Becken mit bewachsenen Ufern. Meerseitig (auf dem Bild vorne rechts zu erkennen) gibt es ein kurzes Stück senkrechte Wand für kleine Schiffe. Die Schleuse kann nur zwei Mal täglich, bei Flut benützt werden. Vor der Seeschleuse in St. Valery liegt die Sommemündung „Baie de Somme“. 

Hier liegt weiteres Geschiebe der Somme und das durch Bojen gekennzeichnete Fahrwasser mäandert zwischen Sandbänken und Untiefen noch einige Kilometer weiter bis man das offene Meer erreicht. Auf den höheren Sandbänken wächst Gras und Schafherden weiden. Bei  Niedrigwasser werden Wanderungen ins Naturschutzgebiet angeboten. Schiffe begegnen einem jetzt keine. Im 14 Jahrhundert war St. Valery der wichtigste Handelshafen an der Französischen Ärmelkanalküste. Im Hinterland gab es grosse Seilereien und Webereien für Segeltuch. Die hergestellte Qualität galt als hervorragend und konnte bis nach La Rochelle und Bordeaux verkauft und gegen Wein und Spirituosen eingetauscht werden.

Am Mittag erreichen wir Abbeville. Wir bleiben oberhalb der Schleuse zum 15 Kilometer langen „Canal Maritime“, um nicht den Gezeiten ausgesetzt zu sein. Abbeville hat den richtigen Namen. Hier gab es einmal 15 Kirchen, 15 Klöster und fast nochmals so viele Hospitäler unter kirchlicher Führung. Am 20. Mai 1940 wurde die Stadt schwer bombardiert. Von vielen Kirchen und Klöstern steht nur noch ein Teil, eine Fassade oder gar nur noch eine Gedenktafel. Grosse Teile der Stadt mussten wieder neu aufgebaut werden. Am Nachmittag erkunden wir die Stadt, verweilen auf einer Parkbank am Weiher eines ehemaligen Klosters und ziehen weiter den Geschäften und Schaufenstern entlang. Nach der Besichtigung der Kirche mit grosser Fassade, kleinem dahinter liegenden Schiff und schönen Glasfenstern, treffen wir am Abend im Supermarkt die flossfahrenden Pfadis wieder. Sie sind inzwischen auch am Ziel ihrer Reise angelangt.

Wir laden sie aufs Schiff zum Apero ein und alle wissen viel zu erzählen.  

Am Freitag machen wir einen Autoausflug ans Meer. Wir fahren genau westwärts zur Mündung der Bresle. Auf der linken Flussseite liegt Le Tréport und am rechten Ufer liegt Mers-les-Bains. 

In Le Tréport parkieren wir unmittelbar am Fischerei- und Yachthafen. Der Hafen ist durch eine Schleuse vom grossen Vorhafen getrennt. Vom Meer kommend fährt man durch eine lange Einfahrt zwischen zwei Molen / Wellenbrechern hindurch in den Vorhafen. Dank des hohen Wasserstandes laufen Schiffe ein und aus und der Meeresspiegel im Vorhafen liegt momentan nur wenig tiefer als der Hafen. Im Vorhafen ankert ein Segelschiff und das Ausflugsschiff ist bereit für die Rundfahrt. Gut eine Stunde später beobachten wir wie die Hebebrücke und das Sperrtor zum zweiten, grösseren Hafenbecken von Le Tréport geöffnet. Es herrscht Flut und die Wasserstände im Vorhafen und den beiden Hafenbecken sind ausgeglichen. Viele Schiffe nutzen den Moment, bevor die Hafeneinfahrt wieder langsam trocken fällt. Die kleinen Boote im Vorhafen sitzen zwei mal Täglich auf dem Schlick auf.

Das Städtchen mit seinen Backstein / Riegelhäusern schmiegt sich an den Kalksteinfels. Vom Hafen hinauf führt uns der Weg durchs alte Stadttor und die Gassen hinauf bis zur Kirche. Rechts unter uns liegt der Hafen, der gleichzeitig die Mündung der Bresle ist. Vor uns liegt der Vorhafen und links davon der Leuchtturm – und gleich daneben, an bester Lage, steht das Casino. Gegen Südwesten berühren die letzten Häuser den Kalksteinfels der hier senkrecht empor ragt. Wer nicht hinaufsteigen will, kann sich mit der Standseilbahn chauffieren lassen. Unten an der Hafenpromenade ist heute Markt und die Geschäfte zeigen sich von der schönsten Seite. Dazwischen reiht sich Speiselokal an Speiselokal. Alle Tische sind gedeckt, viele Leute sind auf dem Markt und in den Gassen unterwegs. Überall sind Ferienwohnungen zu vermieten. Le Tréport lebt vom Tourismus und das ist zu erkennen.

Einen Steinwurf entfernt, am anderen Ufer der Bresle liegt Mers-les-Bains. Eine ganz andere Welt, ein klassischer Seebad-Ort mit Vergangenheit. Der Strand hat uns überrascht. Es ist kein Sand- und kein Kiesstrand. Hier liegen faustgrosse Steine, mehrere Meter hoch übereinandergeschichtet, von unterschiedlichen Materialien und in verschiedenen Farbtönen. Alle vom Meer rund geschliffen. 

Beim gehen klingt es geheimnisvoll. Die Hohlräume verstärken den Klang der unter den Füssen aneinander schlagenden und reibenden Steine. Hinter der Strandpromenade steht Villa an Villa, Haus an Haus. Zusammen ergeben sie eine prachtvolle Fassade zum Meer hinaus. Fast alle Häuser sind angeschrieben. Viele Häuser tragen einen Frauennamen über dem Hauseingang und noch häufiger ist eine Tafel an Türen oder Fensterläden angebracht. Diese Häuser heissen dann „a louer“ oder „a vendre“! Es ist nicht zu übersehen, dass Mers-les-Bains die besten Zeiten hinter sich hat.

Gleich neben den letzten Häusern der Strandpromenade von Mers-les-Bains beginnen die Falaises, die Kalksteinfelsen. Der Küstenstrasse entlang fahren wir nach Ault.

Ault liegt auf der letzten Kalksteinklippe, gleich südlich der Sommemündung. Ein letzter Ausflug gilt noch dem Leuchtturm von Le Hourdel, an der südlichen Landspitze wo die Somme ihr Wasser definitiv ins Meer entlässt. 

Es herrscht Ebbe und die Toplampen der Fischerboote reichen kaum über den Rand der Hafenmole. Wir haben den westlichsten Punkt der Somme erreicht und übergeben LEO an die nächste Crew, die mit Rückenwind wieder flussaufwärts fahren wird. Der Weg bis an den Winterplatz im Burgund ist noch weit. 

Wer weitere Fotos der Region Somme anschauen möchte sollte hiervorbeischauen!

HD11. 

 

 

 

Comments

  1. 07.10.2019
    Euer Reisebericht macht so richtig Lust auf eine derartige Reise per Flussschiff.
    Den Charmeur LEO habe ich vor zwei Tagen hier am halte fluvial in L’Isle-sur-le-Doubs gesehen (Crewwechsel) und ein paar Worte mit Heinz Dirnberger gewechselt.
    Annemarie und ich wohnen seit 15 Jahren gegenüber im Maison-au- Canal und haben schon so manchem Flussfahrer unsere tätige Hilfe angedeihen lassen.
    Ab und an helfe ich bei Mangel an „hands on deck“ bei Ueberführungsfahrten aus, was jeweilen richtig Spass macht.
    Weiterhin „Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel“

    Mit nautischen Grüssen
    Eckhard

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